Computerworld
Zahlreiche Websites nicht zuletzt E-Commerce- und Online-Banking-Angebote lassen punkto Benutzerfreundlichkeit viel zu wünschen übrig. Der Schweizer Startup Zeix nimmt die Usability von Webauftritten unter die Lupe und kommt dabei zu teilweise erstaunlichen Ergebnissen.
Websurfen ist ein Gaudi, die Sites mit ihren Infos, Buttons, Links und bunten grafischen Elementen lassen sich intuitiv erfassen und bedienen, dem vergnüglichen Online-Shopping und dem zeitsparenden E-Banking steht deshalb nichts im Weg – mit anderen Worten: Das Internet im allgemeinen und die Websites im besonderen bestechen, im Gegensatz zu den meist komplexen PC-Büro- oder Geschäftsanwendungen, durch ihre hohe Benutzerfreundlichkeit. Lange Zeit machte es den Anschein, als ob sich diese Vorstellung, die vor rund sechs Jahren von den Euphorie versprühenden Marketingarmeen der Dotcom-Szene in Umlauf gebracht wurde, unwiderruflich in den Köpfen derjenigen festgesetzt habe, die für den Internetauftritt ihrer Unternehmen zuständig sind. Und trotz der weitgehend ernüchternden Resultate im E-Commerce sei es in der Spielart Business-to-Consumer (B2C) oder Business-to-Business (B2B) und dem Massensterben ehemals im wahrsten Sinne des Wortes viel versprechenden Dotcom-Firmen in den letzten 18 Monaten, scheint sich erst langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass dieser Marketingmythos endgültig ausgedient hat und es jetzt darum geht, der sogenannten Usability von Websites die Beachtung zu schenken, die sie verdient.
Denn wer die hohe Zahl der verlassenen Einkaufswagen in seinem E-Shop nicht mit dem Argument schönreden will, der Benutzer habe eben nur schnell reinschauen und gar nicht wirklich einkaufen wollen, muss sich notgedrungen fragen, was denn an der Online-Präsentation seines Angebots so abschreckend ist. Wenn er es mit dieser Frage wirklich ernst meint und gewillt ist, es in Zukunft besser zu machen, wird er sich an eine externe Usability-Spezialistin wenden.
Verlorene Surfer
Eine davon ist hierzulande die vor ziemlich genau einem Jahr gegründete Zeix mit Hauptsitz in St. Gallen und operativem Schwerpunkt in Zürich. Sie deckt alles ab vom vorgängigen Expertengutachten über ausgedehnte Usability-Tests im hauseigenen Labor inklusive Vor- und Nachinterviews mit den Testpersonen bis hin zur Präsentation von Testablauf und einem ausführlichen Usability-Assessment-Report die für die Einschätzung von Benutzerbedürfnissen und -verhalten sowie der Anwenderfreundlichkeit der Webanwendung notwendigen Prozessschritte.
Was die Zeix-Leute in ihrem Usability-Lab bislang beobachten konnten, räumt endgültig mit den eingangs formulierten Marketingphrasen auf. Laut COO (Chief Operating Officer) Jacqueline Badran und Geschäftsführer Peter Hogenkamp stellt sich die Sache unter dem Strich folgendermassen dar: Die meisten Websites weisen eklatante Usability-Mängel auf. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass auch so genannte Power-User bei vielen Test-Bedienungsaufgaben am Bildschirm massiv ins Schleudern geraten. Normalbenutzer oder Einsteiger fühlen sich bei vielen Funktionen komplett überfordert, obwohl sie, wenn sie gefragt werden, die entsprechende Funktion explizit wünschen. Sie gehen deshalb beim Online-Shopping oder beim E-Banking regelrecht verloren. Das hat einleuchtenderweise nichts mit Dummheit der Anwender zu tun, umso mehr dagegen mit kompletter Unwissenheit seitens der Website-Betreiber, wenn es um die Vorstellungen, Bedürfnisse und Nutzungsgewohnheiten ihrer potenziellen Online-Besucher geht.
Badran erwähnt in diesem Zusammenhang das Beispiel eines Schweizer Finanzdienstleisters, der bei einer generellen Umfrage sehr hohe Zufriedenheitswerte erzielte. Die Verantwortlichen des Online-Angebots des Unternehmens hätten sich nun bequem in der beruhigenden Erkenntnis zurücklehnen können, erstklassige Arbeit geleistet zu haben.
Allerdings kam bei der Umfrage auch an den Tag, dass einige Funktionen einer Online-Anwendung stark unternutzt waren. Das warf folgende Fragen auf: Besteht kein Bedürfnis nach diesen Funktionen? Finden die Benutzer die Funktionen gar nicht? Oder können sie sie nicht bedienen? Wie Badran betont, konnte Zeix im Lauf der stark qualitativ orientierten Usability-Tests und -Diskussionen klar nachweisen, dass es sehr wohl ein Bedürfnis nach diesen Funktionen gab. Die Anwender konnten sie aber schlicht nicht finden. Und wenn sie während der Testaufgaben dazu gezwungen wurden, sie zu finden, konnten sie sie nicht bedienen. Der Clou an der Geschichte: Die bezüglich dieser Funktion hilflosen Anwender waren keineswegs Internet-Novizen, sondern veritable Power-User.
Es ist bezeichnend, wenn man sieht, wie ein Informatiker in einer Web-Applikation völlig den Faden verliert und am Schluss komplett im Schilf steht. Und das bei einer durchschnittlichen, relativ simplen Aufgabe, kommentiert Badran diese Episode. Für den Auftraggeber hatte diese Erkenntnis weitreichende Konsequenzen. Er konnte sich zwar über die hohe Kundenzufriedenheit freuen, die aus der Umfrage resultierte. Nach den Usability-Tests war aber klar, dass die Leute nicht wegen, sondern trotz der Online-Applikation mit dem Unternehmen zufrieden waren. Die positiven Werte gründeten also in Old-Economy-Dimensionen.
Usability ist geschäftskritisch
Das Fazit, das Zeix aus dieser Tatsache zog und dem Auftraggeber präsentierte, liess an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es lautete: Die Usability-Mängel haben zwar keine Auswirkungen auf die ältere Kundschaft, die aufgrund ihrer langjährigen Beziehungen zum Unternehmen auf Loyalität eingeschworen ist. Die Jungen dagegen, die potenzielle Stammkundschaft der Zukunft also, scheren sich keinen Deut um langjährige Kundenbeziehungen, weil sie so etwas noch gar nicht kennen. Sie wandern zur Konkurrenz ab, wenn sie gewünschte Online-Funktionen nicht finden oder wenn sie sie gefunden haben, nicht bedienen können.
Dieses Beispiel verdeutlicht, worum es bei Usability-Tests und -Beratungen geht. Laut Hogenkamp mitnichten bloss um die Frage, ob dieser oder jener Button oben rechts oder unten links zu platzieren ist. Auch nicht nur darum, ob diese oder jene Funktion benutzerfreundlich genug ist oder nicht. Das ist auch wichtig, noch wichtiger aber ist, dass ein Webauftritt den Businessstrategien eines Unternehmens entspricht sprich Kundenbindung generieren kann. Dass die Website-Betreiber verstärkt auf eine umfassende Usability ihres Online-Angebots Wert legen, davon ist man bei Zeix überzeugt. In Euphorie verfallen will Hogenkamp allerdings nicht. Ähnlich wie die Umweltfreundlichkeit läuft auch die Usability stets Gefahr, im Stadium der Lippenbekenntnisse stecken zu bleiben mit letztlich fatalen Folgen für die Website-Betreiber selber.
aus: Computerworld 02/2001
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