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Nicht einmal Google kennt www.ch.ch

Fachartikel in Netzwoche

Endlich kennt die ganze Schweiz den Guichet virtuel! Das TV-Nachrichtenmagazin 10 vor 10 hat sich des Themas angenommen. Doch was der Deutschschweizer Bevölkerung zu bester News-Zeit berichtet wurde, war keine gute Werbung für die Sache.

Von: Michael Fritschi, Netzwoche in Kooperation mit Zeix AG

Anhand von Usability-Tests zeigte das TV-Nachrichtenmagazin 10 vor 10, was in webaffinen Kreisen innerhalb und ausserhalb der Bundesverwaltung eigentlich längst bekannt ist: Der Nutzen des Guichet virtuel ist gering. Auf der Suche nach den gleichen Inhalten mit und ohne Benutzung des Bundesportals schnitten herkömmliche Suchstrategien im Testvergleich leicht besser ab. Die Testpersonen gelangten über Google teilweise sogar erheblich schneller zum Ziel als über ch.ch. Zudem hätte keine einzige der Testpersonen ohne Hilfestellung das Portal ch.ch selbst gefunden. «Das Ergebnis zeigt, dass es nicht der Vorstellung der Bürgerinnen und Bürger entspricht, erst beim Bund suchen zu gehen, wenn sie ein Anliegen zum Beispiel an ihre Gemeinde haben», kommentiert Jacque line Badran vom Usability-Spezialisten Zeix, der die Tests durchführte, die Resultate.
Auch wurde von den Testpersonen die Navigation von ch.ch bemängelt und die Ergebnisse der Volltext suche als unbrauchbar empfunden. Zusätzlich überrascht hat, dass ch.ch über Google in keinem Fall direkt gefunden wurde. «ch.ch ist ? wie übrigens viele Kantons-Websites auch ? schlecht indexiert und verschlagwortet », stellt Badran fest. «Dabei bietet ch.ch durchaus nützliche Inhalte. Das hilft aber wenig, wenn sie niemand findet.»

Mythos Themenportal
Ein fundamentaler Irrtum sei die Annahme vieler Sitebetreiber und Webspezialisten, dass sich die User gefühlsmässig in einem virtuellen Raum fühlten, wenn sie sich im Internet bewegen. «Bei einer Suche im Internet wird meist nach einer passenden Institution aus der wirklichen Welt gesucht: NZZ, Blick, Coop und so weiter», erklärt Badran. Das Gleiche gelte auch für Behördenportale wie ch.ch, deren Aufbau nach dem Lebenslagenprinzip ganz einfach nicht dem Userverhalten entspreche. «Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass wegen des Internets eine Loslösung von Institutionen und Organisationen stattfindet. Das Gegenteil ist der Fall», deklariert Badran.
Kritik an ch.ch war schon öfters ein Medienthema, zuletzt im November. Weshalb SF DRS die Geschichte nun aufgekocht und definitiv auf die politische Ebene gehievt hat, ist nicht bekannt. Für Hanna Muralt Müller, Vize-Bundeskanzlerin und Projektleiterin von ch.ch, gibt es keine gesicherten Hinweise, weshalb SF DRS gerade jetzt diesen Beitrag ausgestrahlt hat. Doch allein die News, dass sich neben den Kantonen Zürich und Solothurn schliesslich auch Luzern geweigert hat, den künftigen Betrieb des Guichet virtuel zu unterstützen, wird den fünf Minuten bester Sendezeit am nationalen TV nicht gerecht. Den regulären Betrieb hatte ch.ch bereits am 1. Januar dieses Jahres aufgenommen.

Berater und Hoster
haben abkassiert Über 18 Millionen Franken kostete der Aufbau von ch.ch. Michael Salzmann, Leiter der Stabsstelle E-Government des Kantons Zürich und prononcierter Kritiker des Guichet virtuel, erklärte im «10 vor 10»-Beitrag, dass eine Website wie ch.ch für mehrere hunderttausend Franken zu realisieren wäre. «Natürlich könnte man es heute billiger machen», kontert Muralt gegenüber der Netzwoche. «Vor vier Jahren war alles viel teurer.» Das Hosting durch Swisscom hätte zu Beginn eine Million Franken gekostet, heute erhalte diese für das mittlerweile redimensionierte Projekt noch 150 000 Franken im Jahr. Insgesamt hat Swisscom von den 18 Millionen Franken 3,5 Millionen eingestrichen. Oracle, zuständig für die Plattform, Hardware und Datenbankmodule, erhielt 2,3 Millionen, und ein externer Berater, der diverse Ausschreibungen begleitet hat, mehrere hunderttausend Franken. Den Einwand, dass sie ? rückblickend auf das Erreichte ? von den happig abkassierenden Partnern schlecht beraten worden sei, lässt Vizekanzlerin Muralt dennoch nicht gelten. «Der Zuschlag erging jeweils an die Firmen mit dem besten Angebot, wobei diese stets auch die tiefsten Preise offeriert haben.» Zudem sei auch der gesamte Sachverstand der Bundesverwaltung in die Evaluation dieser Offerten einbezogen worden.

Kein Störmanöver
Michael Salzmann erklärt auf Anfrage, dass er keineswegs für den TVBeitrag verantwortlich sei. Weil er sich früher aber kritisch geäussert habe, sei 10 vor 10 eben zu ihm gekommen. Man stehe unterdessen in Verhandlungen mit der Bundeskanzlei über eine Lösung, wie nach dem Nein zum Betriebsbeitrag die längerfristige Zusammenarbeit mit ch.ch gelöst werden könne. «Wir haben kein Interesse, zusätzlich Öl ins Feuer zu giessen», so Salzmann. Aus diesem Grund habe er der TV-Crew empfohlen, doch besser auch noch eine neutrale Drittpartei wie ein Usability-Labor zum Thema zu befragen.

So geht?s weiter
Ende März soll ch.ch nun vorerst ein Redesign erhalten. Auf diesen Zeitpunkt ist auch eine Publicity-Kampagne geplant: nichts Teures, Flyer, die an Behördenschaltern aufliegen, beispielsweise. Anfang März wird zudem die Betriebsorganisa tion von ch.ch mit jener von admin.ch zusammengeführt. Später ? das Ziel wäre Ende 2005 ? sollen diese beiden Plattformen auf ein neues, gemeinsames CMS migriert werden.

www.netzwoche.ch

aus: Netzwoche 09 / 2005 vom 2.03.2005

Artikel als PDF:

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