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Special interest vs. more special interest: Gratisconsulting für „Wir Eltern“

Vorgeschichte:
1. Ich bin im April Vater geworden, mein Sohn ist also jetzt fünf Monate alt.
2. Geburtsanzeigen werden anscheinend in einer Art Pflichteintrag irgendwo veröffentlicht (ich hab es nie gesehen), jedenfalls werden sie, ähnlich wie Handelsregistereinträge, offenbar von Adress-Brokern erfasst und gehandelt. Resultat für die Eltern: Ohne dass man sich irgendwo aktiv meldet, erreichen einen regelmässig diverse Mailings (Werbung und Produktmuster) und Anrufe mit Angeboten.

Vor ein paar Wochen rief ein freundliches Call Center im Auftrag der Monatszeitschrift „Wir Eltern“ an (herausgegeben von Vogt-Schild/Habegger Medien, die machen auch die Mittelland-Zeitung oder so; kenne mich in der Gegend nicht so aus). Die Anruferin rechnete natürlich tagsüber mit der Mutter, kam aber darüber hinweg und bot mir ein Schnupperabo mit 3 Ausgaben für CHF 10.- an, ohne automatische Verlängerung — sie rufen dann noch mal an (!) und fragen, ob man fortsetzen will. Überraschend, fand ich. Vor allem, weil ich spontan dachte, dass mit diesem Prozess jeder neue Abonnent sicher über 100 Franken kostet. Wie lange muss man dann bleiben, damit sich das rechnet… Aber eine Alternative zu dieser aufwändigen Akquise hat der Verlag wohl auch nicht, denn Eltern abonnieren „Wir Eltern“ natürlich weniger lange als Bastelfans das „Modellbau Magazin“. Natürliche Fluktuation. Ich erwartete zwar nicht viel vom Inhalt, aber ich wollte mal schauen, ob die vielleicht crossmedial mit www.wireltern.ch etwas Spannendes machen, die Website hatte ich schon mal angeschaut, also sagte ich zu.

Neulich kam dann das erste Heft. Die Themenabschnitte sind:

elternwerden (bis 1 Jahr): Alle Themen rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett, Stillen

kleinkinder (1-5 Jahre): Die Entwicklung des Kindes, Erziehungsfragen, Gesundheitsthemen

schulzeit (6-10 Jahre): Zusammenleben mit Kindern, Spielgruppen, Kindergarten, die ersten Schuljahre

lebengeniessen: Freizeitaktivitäten für die ganze Familie, kreativ sein, Ernährungsfragen, Kochrezepte, Leser/-innenforum, Kontakte

Ähh… Und wo sind wir? Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett sind längst vorbei, Stillen fast. (Ich weiss, es gibt auch Familien mit mehreren Kindern. Davon sehen wir jetzt mal ab – der Support-Bedarf ist sicher beim ersten am grössten.) Meine These: Eltern eines Babys von x Monaten (mit x < 12) interessieren sich vor allem für zwei Aspekte:

Erstens für das, was vom Monat x bis etwa x+2 passieren wird. Eine Vorschau auf die neuen Features des Babys, sozusagen, zum Vorfreuen und vorbereitet sein. pro juventute macht das nicht schlecht mit den „Elternbriefen“, die man beim ersten Kind automatisch bekommt und die jeweils genau diese Vorschau liefern. Die kommen natürlich etwas schlicht daher, nicht eben hochglanzmässig und auch recht kurz. Aber wir haben bisher beide alle gelesen, und das muss eine Publikation erstmal schaffen.

Zweitens interessiert man sich für ganz konkrete Fragen. Ich will hier nicht ins Detail gehen, aber es hat immer etwas mit: „Mein Kind macht gerade dieses und jenes. Ist das normal, oder muss ich mir Sorgen machen?“ zu tun. Für diesen Fall googelt man natürlich heutzutage. Zu jedem erdenklichen Stichwort findet man eine Unzahl von Treffern, die meisten aus irgendwelchen Foren, in denen sich sehr engagierte Eltern austauschen, die leider in der Regel nur Halbwissen beizutragen haben; wenn man Glück hat, stellt mal ein Arzt oder eine Ärztin die Sache richtig. Ferner gibt es Treffer von wissenschaftlichen Seiten, auf denen man kein Wort versteht; und schliesslich Promo-Seiten der Industrie. Will heissen: Man findet zwar schnell irgendwelche Aussagen, aber wem kann man trauen?

Zum Beispiel erfahrenen Journalisten eines spezialisierten Titels. Hier wäre die Lücke für „Wir Eltern“. Ich weiss nicht, wie lange es das Magazin schon gibt, steht nirgends; gehen wir mal von 20 Jahren aus. (Ältere Informationen würde man irgendwann nicht mehr so ernst nehmen.) Das macht immerhin 240 Hefte mit über wohl 2000 Artikeln. Ich nehme mal an, die Hälfte davon ist redundant. Bleiben 1000 relevante. Wenn die online verfügbar wären, mit einer guten Detailsuchmaske, in der man zuerst das Alter des Kindes angibt — wie einfach würde wireltern.ch mein Einstiegspunkt für meine Online-Recherchen. Paid Content? Kein Problem. Für eine klare, qualifizierte Antwort auf meine aktuelle Frage in Form eines Archiv-Artikels würde ich problemlos 5.- ausgeben. (Es ist ja für das Kind, da hat man sich schon dran gewöhnt, beim Geld alle Vernunft über Bord zu werfen.)

Und woher weiss ich als Vater/Mutter, dass es das Portal mit allen Fragen rund ums Baby gibt? Weil das Call Center, das sowieso anruft, mich in Zukunft zusätzlich nach meiner Mailadresse fragt. In der Schweiz sind 50% der Erwachsenen online, aber Eltern sind ja unter 45, also dürfte der Anteil noch etwas höher sein. Wenn man dann rechnet, dass es reicht, wenn einer der beiden Partner eine Mailadresse hat, sind es noch mehr. Vorschlag für den Text des Telefon-Skripts: „Darf ich fragen, ob Sie oder Ihr Mann eine E-Mail-Adresse haben?“ [Bei Antwort „Ja“] „Wir verschicken nicht öfter als einmal im Monat gratis einen individuellen Newsletter, dessen Inhalt dem Alter Ihres Kindes angepasst ist. Sie können ihn jederzeit mit einer kurzen Nachricht abbestellen.“ Wieso soll man da Nein sagen? Für den Verlag dauert der Anruf eine Minute länger und die Datenbank muss um ein Feld erweitert werden — und ich wette um ein Jahresabo, dass die Erfolgsquote für den Gratis-Newsletter dreimal so hoch wie für das Schnupperabo.

Natürlich ist es damit nicht getan, man muss auch noch die neue Datenbank bauen, das Archiv aufbereiten, und laufend natürlich einen überzeugenden Newsletter machen, mit einem guten Mix aus einigen Gratisinhalten der Gruppe 1 (s.o.) und zwanglos eingestreuten Hinweisen, z.B. drei Gratis-Abrufen, auf die ansonsten kostenpflichtige Datenbank mit den Inhalten der Gruppe 2. Wohlverstanden: Ich will nicht das Magazin abschaffen, sondern die Kontakte, die man eh macht, deutlich besser „leveragen“. 🙂 Für weitere Cross-Selling-Aktionen zwischen online und offline müsste man nicht lange überlegen; das neue Modell hilft damit sogar de Abonnentenzahlen.

Aber ob sich das auch rechnet? Keine Ahnung. Nur, wenn es morgen einen Anbieter gibt, der diese Content-Datenbank macht und Geld für die gleiche Vertriebspower mit flächendeckenden Anrufen hat — dann wird dieses Datenbank-Angebot die Print-Konkurrenz einfach Abonnenten kosten. Da wäre es doch schlauer, wenn derselbe Anbieter gleich beides macht, der hat den Content eh schon im Haus.

Fazit: Special-Interest-Print-Titel sind eine schöne Sache, und wer an einem grossen Bahnhofskiosk steht, staunt, wie viele Nischen es gibt, in denen es sich augenscheinlich überleben lässt. Aber man ist auch erstaunt, wenn man sein eigenes Kauf- und Leseverhalten anschaut, mit einer wie geringen „Trefferquote“ man sich bei Print eigentlich über die Jahrzehnte zufrieden gegeben hat. Wenn mich in einer „Computer Bild“ zwei von den „How-to-Artikeln“ interessieren, ist es schon viel. Es ist wie mit früher mit der Schallplatte und dann der CD: Man wollte ein Lied und kaufte zehn. (In diesem Markt verschiebt sich gerade irgendwas, habe ich neulich mal gehört.) Und deswegen wird sich im Special-Interest-Fachzeitschriften-Markt auch einiges verschieben. Womit ich, nochmal, nicht behaupten will, dass Print abgelöst wird. Oder doch, aber ich weiss nicht, in welchem Jahrzehnt. Nur eins steht fest: An qualifiziertem Paid Content als Alternative führt kein Weg vorbei — sobald ihn endlich mal einer macht.

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