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Der Onlinewähler ist unterfordert – Parteien-Websites im Test

Das Internet spielt im Wahlkampf nur die zweite Geige, und das sieht man den Parteien-Websites an.

Im Auftrag der Netzwoche hat der Zürcher Usability-Dienstleister Zeix die Websites der grössten vier Schweizer Parteien unter die Lupe genommen. Fazit: Das Internet spielt im Wahlkampf nur die zweite Geige, und das sieht man den Parteien-Websites an.

2007 ist Wahljahr, im Oktober wählt die Schweiz ihr neues Parlament. Der Kampf der Parteien um Wählerstimmen findet nicht nur in den traditionellen Medien statt, sondern auch im Internet. Mit ihren klassischen Websites sowie mit Blogs, Diskussionsforen, E-Cards und RSS-Feeds buhlen die Parteien um die Gunst der User. Der Usability-Dienstleister Zeix hat exklusiv für die Netzwoche untersucht, wie gut die grössten Schweizer Parteien ihre potenziellen Wählerinnen und Wähler auf dem Web informieren.

Was will der User eigentlich?

Die Inhalte der vier grossen Parteien-Websites präsentieren sich nicht als Plattform für «interne» Debatten unter Wählern und Sympathisanten, vielmehr sprechen sie das breite Wahlpublikum an. Sie wollen also den einfachen, nicht vorbelasteten User online abholen. So stellt sich die Frage, was den Frau und Herr Schweizer auf den Websites ihrer Parteien suchen. Eine Strassenumfrage, durchgeführt in Zürich, gibt Aufschluss. Wir wollten wissen, wie sich Personen zu Abstimmungen und Wahlen informieren. An der Befragung nahmen 69 Personen teil, davon 35 Frauen und 34 Männer im Alter zwischen 23 und 77 Jahren. Die Befragung lieferte folgende

Resultate:

  1. Von den insgesamt 69 Personen hatten nur 16 (23%) bisher mindestens eine Website einer Partei angeschaut. Noch weniger Personen, nämlich nur 11 (16%), haben die persönlichen Websites von Kandidaten (z.B. Regierungsratskandidaten) besucht.
  2. Der Vergleich zu anderen Informationsquellen zeigt, dass das Internet in diesem Zusammenhang ein sekundäres Medium ist. 29 Personen (42%) gaben an, sich vor Abstimmungen im Internet zu informieren (hier zählen alle Onlinemedien dazu). Am häufigsten nutzen Personen immer noch Zeitungen (44 Nennungen, 64%), Fernsehen und auch die offiziellen Abstimmungsunterlagen (je 39 Nennungen, 57%), um sich über Abstimmungen und bei Wahlen zu informieren.
  3. Am häufigsten, mit 35 Nennungen (50%), wünschten sich die Personen Aussagen zur grundsätzlichen «Ideologie», eine «Kernaussage » bzw. ein «Parteiprogramm». Am zweithäufigsten, nämlich von 23 Personen (33%), wurde die «Haltung zu aktuellen oder spezifischen Themen» bzw. «Abstimmungsempfehlungen» genannt. An dritter Stelle folgten die «Ziele
    der Partei» (17 Nennungen, 25%). Vereinzelt (weniger als 10%) wurden «ihre politischen Vorstösse», die «Vertreter oder Köpfe der Partei», «Historisches» oder «Veranstaltungen» aufgezählt.
  4. Die befragten Personen wünschten sich zu einem grossen Teil «neutrale und sachliche» sowie «kurze, einfache und deutliche» Informationen. Dies deutet auf eine allgemeine Ungeduld und Abneigung hin, sich mit zu komplizierten politischen Sachverhalten auseinander setzen zu müssen.
  5. Keine der befragten Personen wünschte von sich aus spezielle Inhalte wie etwa Diskussionsforen. Zwei Personen gaben an, dass sie einen politischen Blog verfolgten, nämlich den von Bundesrat Moritz Leuenberger.

Parteien-Websites im Testlabor

Auf der Grundlage der Umfrage wurden die Usability-Tests erstellt. Jede Testperson sollte jede der vier Parteien-Websites besuchen. Die Testpersonen erhielten die Aufgabe, sich «über die vier grossen Schweizer Parteien (SVP, SP, CVP und FDP) zu informieren», also auf deren Websites herauszufinden, «wofür sie stehen und was ihre Philosophie ist».

Am Test nahmen sechs Personen teil ? drei Frauen und drei Männer im Alter zwischen 25 und 41 Jahren mit mittlerer bis guter Internet-Erfahrung. Das heisst, sie sind täglich online und führen regelmässig eine Reihe von Transaktionen aus wie
Einkäufe, Onlinebanking und Buchungen von Tickets oder Ferien.

Erwartung der User nicht erfüllt

Drei der sechs Personen steuerten direkt die URL der Parteien an. Das ging bei drei von vier Parteien problemlos. Allein die SP war nicht unter der vermuteten Adresse www.sp.ch erreichbar, sondern unter der deutsch-französischen Variante «spps.ch», da der Schweizer Domain-Registrar Switch keine Domains mit zwei Buchstaben zulässt. Alle fanden jedoch die SP schliesslich via Google. Die anderen drei Personen nutzten Google ohnehin als Einstieg. Den Probanden wurde freie Hand gelassen, in welcher Reihenfolge sie sich über die Parteien informieren möchten. Alle Personen wählten als Einstieg entweder die SVP oder die SP, die CVP wurde stets an letzter oder zweitletzter Stelle gewählt. Der Test zeigte auf, dass keine Partei
eine kurze, prägnante und vor allem verständliche Übersicht zu ihren Standpunkten bietet. In diesem Punkt noch am besten schnitt die FDP ab. Die Testpersonen steuerten nach erfolglosem Suchen erwartungsvoll das jeweilige «Parteiprogramm» an. Dieses ist bei allen Parteien leicht zu finden und steht jeweils als PDF zur Verfügung. Einmal mehr wurde jedoch deutlich, wie ungeeignet PDFs für das rasche «Überfliegen» und die schnelle Suche von Informationen sind. Das Aufstarten des Adobe Readers, die Ladezeit selbst und die statische Darstellung am Bildschirm verärgerten die Testpersonen. Dazu kommt der Umstand, dass die Parteiprogramme für das schnelle Lesen viel zu lang sind; CVP: 31 Seiten; FDP: 32 Seiten; SP: 58 Seiten und SVP: 88 Seiten. Alle Testpersonen wechselten an dieser Stelle von der Suche nach konkreten Aussagen zur Strategie. Man argumentierte übereinstimmend: «Wenn ich sehe, wie die Partei abgestimmt hat, welche Argumente sie hat und wie ihre Empfehlungen sind, dann sehe ich, ob mir die Partei passt oder nicht», erklärte eine Testperson. Alle gelangten durch das Betrachten dieser Inhalte dann auch zu einer Meinung über die aktuelle Partei.

Fazit: «Müsste mir mehr Zeit nehmen»

Aus Sicht der Befragten sollte eine ideale Parteien-Website drei Dinge in den Vordergrund stellen: eine kurze, einfache und verständliche Zusammenfassung zu «Ideologie» und Zielen der Partei sowie die Position der Partei zu aktuellen Themen mit sachlichen, verständlichen und nachvollziehbaren Argumenten. Das Testresultat war insofern eher ernüchternd (siehe Kasten). Keine Parteien-Website wurde diesen Erwartungen wirklich gerecht. Bei der SVP war der Inhalt karg und unspezifisch, die SP schrieb zu ausführlich und bot zu wenig Überblick, bei der FDP war die Orientierung etwas schwerfällig

und das Design nicht einladend genug, und die CVP schliesslich vermochte in keinem Punkt zu überzeugen und hinterliess insgesamt einen mittelmässigen Eindruck. Übereinstimmend hatten die Testpersonen das Gefühl, dass man sich hier «mehr Zeit nehmen» müsse, um sich «besser zu informieren». In einer Zeit der kurzen und prägnanten Botschaften und der limitierten Aufmerksamkeit des Publikums ist es überraschend, dass keine der Websites es schaffte, die User schneller zu informieren.

Die getesteten Parteien-Websites CVP - mittelmässig

Ähnlich der FDP hat die Website der CVP einen eigenen Navigationspunkt zu ihrer Positionierung sowie rund um die Nationalratswahlen. Leider entdeckte nur eine einzige Testperson diesen Bereich und dies erst noch ganz am Schluss, entsprechend resignativ fiel der Kommentar aus: « ?Wahlen 2007?, das wäre der Link gewesen.» Diese Übersicht wird einfach zu oft übersehen.
Nicht einig waren sich die Testpersonen über die Artikel-Datenbank, wo sich Informationen spezifisch nach Themen oder Stichworten suchen lassen. Zwei Testpersonen äusserten sich begeistert: Es sei «gut für Sachfragen, man könne spezifisch suchen», so die eine. Zwei Testpersonen bemängelten hingegen: Da die Datenbank keine Übersicht biete, müsse
man stets nach konkreten Themen suchen. Ohne äusserst negative, aber auch ohne positive Punkte wird die Website durchgängig als «mittelmässig» und etwas «langweilig» wahrgenommen, auch beim grafischen Design.
Zur CVP Website

FDP - etwas steril

Die Website der FDP machte mit ihrem weissen Hintergrund und der grauen Navigation auf alle Testpersonen von Anfang

an einen «einfachen, bescheidenen», allerdings auch «faden und etwas sterilen» Eindruck. Die Testpersonen zeigten einen
grundsätzlichen Widerwillen, hier nach Informationen zu suchen.
Der erste Eindruck täuschte jedoch, die Testpersonen fanden rasch zu einer Übersicht. Mit dem Hauptnavigationspunkt «Vier Projekte für die Schweiz» erhielten vier der sechs Testpersonen einen guten Überblick über die Partei. «Konkret und nicht zu lang, macht Spass zu lesen», so die Meinung einer Testperson.
Einige Punkte der Unternavigation waren allerdings nicht erwartungsgemäss abgelegt, was zu erstaunten Gesichtern bei den Testpersonen führte. Zudem bleibt der User sehr schnell im Inhaltsbereich hängen und übersieht, wo er in der Navigation ist, und dass es noch weitere Unternavigationspunkte gibt.
Zur FDP Website

SP - fancy, bunt, aber zu viel drin

Die SP hat die am «jüngsten» und modernsten wirkende Website. Im Gegensatz zu allen anderen Parteien wurde hier offenbar grossen Wert auf die grafische Erscheinung gelegt. So wirkt die Website auf die Testpersonen auf den ersten Blick «jugendlich» und «fancy, bunt und sympathisch». Der Einstieg ist grundsätzlich übersichtlich, unter der Kategorie «Demokratie» konnte sich aber keine Testperson etwas vorstellen, man war gezwungen, die Unterpunkte genauer anzuschauen. Die Stärke der Website, nämlich der verständliche und ausführliche Inhalt, ist ebenso ihre Schwäche. Einerseits goutierten die Testpersonen die genauen und umfangreichen Erklärungen: «gute Texte mit viel Fakten», «wirkt seriös» oder «ist aussagekräftig». Andererseits empfanden es die Testpersonen als anstrengend, da sie keinen schnellen Überblick erhielten, was sich in Aussagen wie «ich muss mich durchklicken», «sehr ausführlich, aber mühsam» oder «für Leute, die sich schnell informieren wollen, ist es nichts» niederschlug.
Zur SP Website

SVP - übersichtlich, aber ohne Inhalt

Die Website der SVP überzeugt durch einen übersichtlichen Einstieg. Die Hauptnavigation ist schlank und auf ein Minimum reduziert, die Kategorien sind verständlich und trennscharf. Die Testpersonen fanden sich recht schnell zurecht.

Die Schwäche der Website der SVP offenbart sich aber bei genauerem Hinsehen. So stimmten alle Testpersonen überein, dass die SVP «keine wirklichen Inhalte» bietet: Es stehe «sehr wenig geschrieben», die Website sei «sehr plakativ, biete aber keine Infos, sondern nur Slogans und Bilder», die Website «sage einem einfach, was man denken soll»; einzelne Aussagen wie: «Wir fordern eine Neuordnung des Transitverkehrs», seien unspezifisch und könnten «ebenso gut bei den Grünen stehen».
Hier bestätigte sich, dass ein Bedürfnis nach neutraler und objektiver Information besteht, das die SVP hier nicht erfüllt.
Zur SVP Website

Die Eckdaten der Umfrage Fragen

Der Fragebogen bestand aus 13 Fragen rund um das Thema, «wie sich Personen zu Abstimmungen und Wahlen informieren».Durchführung
Die Durchführung erfolgte an fünf Tagen durch vier Zeix-Mitarbeiter an diversen Orten in der Stadt Zürich. Die Beantwortung aller Fragen dauerte für eine Person fünf bis zehn Minuten.

Befragte

Alle Befragten erfüllte die Voraussetzung für die Teilnahme an der Umfrage: Schweizer Bürger/Bürgerin über 18 Jahre alt, der/die schon mal an Wahlen oder Abstimmungen teilgenommen hat. An der Befragung nahmen 69 Personen, darunter 35 Frauen und 34 Männer teil. Die Testpersonen waren im Alter von 23 bis 77 Jahren. Die Befragten stammten grösstenteils
aus dem Kanton Zürich.

So wurde getestet

Die 6 Testpersonen (3 Männer, 3 Frauen) erfüllen alle die folgenden Voraussetzungen:

  • Erfahrene Internetnutzer, die zu Hause über einen Breitbandanschluss verfügen, täglich ins Internet gehen und regelmässig eine Reihe von Transaktionen online ausführen, wie Buchungen, Einkäufe und Onlinebanking.
  • Das politische Interesse verteilte sich von «gering» bis «sehr hoch».
  • Keine der Testpersonen ist selbst politisch aktiv.

Testdurchführung

Die Testpersonen wurden gebeten, sich über die vier grossen Schweizer Parteien (CVP, FDP, SP und SVP) zu informieren, sprich herauszufinden, wofür sie stehen und was ihre Philosophie ist. Der Test wurde im Usability-Labor von Zeix in Zürich auf einem Standard-PC mit Windows XP und dem bevorzugten Browser der Testpersonen (Internet Explorer oder Firefox) durchgeführt. Ein Test dauerte durchschnittlich 45 Minuten.

Fachartikel Netzwoche

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