Im November verglichen wir zum World Usability Tag die beiden iOS Karten-Apps auf zwei iPads. Die neue «Apple Maps» auf iOS 6 und die ältere «Google Maps» auf iOS 5.1.1 schlugen sich in den Bereichen Suche und Kartendarstellung ebenbürtig*. Es steht 2:2. In Teil 2 betrachten wir die Praxistauglichkeit. Dabei untersuchen wir drei Kriterien: Bedienelemente, Standort-Information und Routenplanung.
Bedienelemente
Die Interfaces der Google Maps-App und des Apple-Äquivalents ähneln sich stark. Beide nutzen die
Kopfleiste als Zugang zu Routen-Berechnung, Lesezeichen/Favoriten und Kartensuche. Doch bei Apple sind 2 Buttons nach unten gerutscht – und ganz nahe zusammen:
Generell gilt: Icons sind fast nie selbsterklärend. Wir sehen laufend in Usability-Tests, wie sich auch erfahrene Smartphone- und iPad-Nutzer durchraten. Helfen am Desktop noch die beliebten MouseOver-Erklärungen aus der Patsche, bleibt auf Touchscreens oft nur Pröbeln übrig – ärgerlich.
Beispiel: Ich sitze in Zürich und zoome mich mit Apple Maps nach Davos. Nach längerem Pannen und Zoomen kann ich den richtigen Ausschnitt definieren, sodass ich Davos Dorf und Davos Platz gleichzeitig sehen kann. Die Buttons regen die Fantasie an… das linke Icon erinnert an den Communicator aus Star Trek … nein, die Buttons sehen eher aus wie der Kippschalter für die Lautstärke meines Telefons:
Denn nahe beieinander liegende Interaktions-Elemente führen eigentlich immer verwandte Funktionen aus. Ich gehe also davon aus, dass der Button mit dem rätselhaften Icon die Ansicht verändert – wie es ja auch sein Nachbar tut. Plausibel wäre, dass ich mit dieser Art Kompassnadel oder Windrose die Karte nach Norden ausrichten kann – das wäre ja super. Ich probiers aus und WUSCH, bewegt sich die Karte zu meinem aktuellen Standort in Zürich :-/. Also doch Star Trek: Beam me up to my actual location, Scotty! Das iPad bietet dem «User Interface» soooo viel Platz. Warum also die Icons nicht beschriften? Das würde das Navigieren deutlich erleichtern. Dabei beweisen beide Apps eigentlich vorbildlich, dass sie es besser können:
Die Wertung
Die Bedienelemente beider Maps ähneln sich, sie haben die gleichen Schwächen punkto Icons. Apple missachtet die wichtige Usability-Regel bezüglich Nähe von Interface-Elementen. Deshalb entscheidet Google Maps diese Runde knapp für sich. 3:2 für Google Maps.
Standorte
Die Sprechblase zu den Standorten hebt sich bei beiden Apps sehr gut vom Kartenhintergrund ab.
Apple Maps bietet direkt in der Sprechblase die Möglichkeit, sich zum Restaurant navigieren zu lassen. Zudem wird die Restaurant-Bewertung von Yelp eingeblendet. Das fehlt bei der Google Maps App, dafür wird Streetview angeboten. Mehr Informationen zum Standort erhält man bei beiden Apps über den «i»-Button. Das Informationsfeld ist bei beiden Konkurrenten übersichtlich. Apple Maps liefert allerdings wesentlich mehr Informationen (z.B. auch Beiträge Dritter). Gut gemacht, Apple. Google Maps punktet dafür mit der praktischen Street View.
Die Wertung
Apple Maps liefert deutlich mehr Information zu den Standorten. Das kann Google Maps mit Street View allein nicht wett machen. Apple Maps holt auf, es steht 3:3.
Routenplanung
Bleiben wir bei unserem Mailand-Beispiel aus Teil 1. Wir fahren von einer willkürlichen Adresse in Mailand zurück zum Zeix-Hüsli.
Anfangs trumpft Google Maps mit der schöneren Darstellung der Satellitenbild-Ansicht. Die Satelliten-Ansicht von Apple Maps weist deutliche Fragmente auf. Sie sieht teilweise aus wie ein Mosaik.
Wenig intuitiv bei Google Maps ist dagegen, dass die Navigation gestartet werden muss, um eine Übersicht der Routen zu sehen. Dabei ist doch die zentrale Frage ganz zu Beginn «Wo fahrsch dure?». Apple Maps löst das schön. Man wählt Start- und Zielort und gleich zoomt die App, um die gesamte Strecke samt Routen-Varianten anzuzeigen. Erst danach wählt man «Start».
Interessant sind die Angaben zur Fahrtdauer. Bei fast gleichen Strecken gibt Apple Maps eine Fahrzeit von 3 Stunden und 53 Minuten an. Google Maps kalkuliert 3 Stunden und 5 Minuten. In diesem Fall würde ich eher Apple Maps glauben. Die Daten stammen schliesslich von TomTom, einem Navigations-Spezialisten (übrigens haben wir zu Navigationsgeräten mal einen interessanten Test gemacht). Google Maps ist eher dafür bekannt, im Alpenraum optimistische Fahrzeiten anzugeben. Auf der Axenstrasse fährt man einfach nicht in jeder Kurve die erlaubten 80. Zumindest nicht als Flachland-Zürcher.
Wir starten den Wagen und fahren los. Zuallererst fällt auf, dass man sich bei Apple Maps wie vom Navigationssystem führen lassen kann (die sogenannte «Turn-by-Turn-Navigation»). Dabei erhält man Anweisungen von einer elektronischen Begleiterin mit einer – naja – sonderbaren deutschen Aussprache. Aber immerhin, hilfreicher als die Umsetzung bei Google Maps ist das allemal. Dort sind die Buttons «vor» und «zurück» deutlich zu klein. Sie entsprechen genau der Mindestgrösse nach den «iOS UI Element Usage Guidelines». Das ist bei einer wackeligen Autofahrt jedoch deutlich zu klein. Apple Maps löst das besser. Wenn die Turn-by-Turn-Navigation ausgeschaltet ist, kann von einer Navigations-Anweisung zur nächsten dank swipe-Gesten einfach hin und her geschaltet werden. Zudem verwendet Apple Maps eine viel grössere Schrift, wodurch die Lesbarkeit deutlich verbessert wird (siehe Bild oben).
Die Wertung
Apple Maps liefert schlecht aussehende Satellitenbilder. Eigentlich wollte ich auf solche Probleme nicht eingehen, bei der schlechten Qualität der Kartendarstellung leidet die Usability aber durchaus. 3:4 für Google Maps.
Insgesamt löst Apple Maps die Routenplanung aber deutlich besser. Die Benutzerführung ist besser (+1 Punkt), wie auch die Bedienung während der Navigation (+1 Punkt). Endstand: 4:5 für Apple Maps.
Fazit
Apple maps gewinnt. Irgendwie wiederspiegelt dieses Resultat aber nicht mein Benutzungserlebnis.
Denn Apple Maps gewinnt zwar nach Punkten dank Vektorkarten, informationsreichen Standort-Angaben und besserer Usability bei der Routenplanung.
Die User Experience dürfte bei Google Maps dennoch besser sein. Apple hat es mit dem eigenen Kartendienst nicht geschafft, den Vorsprung des guten Kartenmaterials und der hervorragenden Suche von Google aufzuholen. Wenn ich in Mailand zum Dom will, möchte ich einfach nicht zum Restaurant «Dom Station» in Mailand geführt werden. Hier wäre meiner Meinung nach mehr von der Apple-typischen Perfektion/Innovation gefragt gewesen. Das Einhalten von Usabililty-Regeln allein hilft zwar dabei, eine gute App zu entwickeln, garantiert aber keine gute User Experience.
* Es sei darauf hingewiesen, dass hier mit «Google Maps» die Maps-App in iOS 5.1.1 gemeint ist, bei der die App von Apple, die Daten und Suche hingegen von Google stammen. «Apple Maps» in iOS 6 basiert auf der Vorgänger-App, hat aber neue Datenquellen und Suche.
Nach diesem Expert Review erschien die neue Google Maps-App für iPhone aus dem Hause Google, bei der sowohl App als auch Daten und Suche von Google stammen. Auf den ersten Blick scheint diese sehr gut gelungen. Wir sind gespannt auf die iPad-Version.
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