Elektronische Datenerfassung im Gesundheitswesen ist „in“. Erst im November haben wir uns mit der Alltagstauglichkeit von Messgeräten durch Laien befasst. Kürzlich konnte ich nun genauer Einblick in die Profi-Anwendung Patientendatenmanagementsysteme (PDMS) gewinnen. Hier mein Fazit.
Noch wird in vielen Krankenhäusern sehr viel Zeit damit verbracht, Daten per Hand aufzuschreiben oder in verschiedene technische Systeme zu füttern. So werden zu jedem einzelnen Patienten der Intensivstationen Unmengen von Messdaten erhoben.
Eine Intensiv-Pflegekraft muss manchmal mehrere tausend (!) Daten am Tag dokumentieren. Das ist teuer, fehleranfällig und die Zeit fehlt nachher beim Patienten.
Helfen sollen PDMS-Systeme. Wie und warum und wieweit man damit heute ist, erklärten Praktiker an der PDMS Conference in Bern. Mit einem PDMS werden die Patientendaten in der Intensivstation erfasst. Die Experten an der Konferenz waren sich nicht immer einig, aber in einigen Punkten herrschte weitgehend Konsens: ein gutes PDMS soll
- die Patientensicherheit erhöhen
- die Arbeit des Personals unterstützen (inzwischen ist der Umstand, dass das Krankenhaus ein PDMS hat, schon oft Teil der Stellenauschreibung, um Personal anzulocken), aber auch
- die Kosten transparenter machen
- verwertbare Daten für die Forschung bereitstellen.
Ein tolles Ding also. Wie so oft sieht die Realität aber noch ganz anders aus:
- Das PDMS «spricht» meist nicht mit anderen Systemen, z.B. mit dem System aus der Normalstation.
- Daten ins System reinzubekommen ist nicht so einfach, dann viele medizinische Geräte können noch nicht «ordentlich kommunizieren».
- die gemessenen Daten sind nicht alle korrekt: Wenn das Herz laut Messung nicht mehr schlägt, obwohl der Patient noch atmet, dann ist wahrscheinlich nur ein Sensor abgefallen. Wie geht das PDMS damit um?
- Oft ist noch unklar, was dem Benutzer in welchen Fällen wie angezeigt werden soll: sollen alle Rohdaten sichtbar sein oder besser Auswertungen davon oder gar ein Diagnosevorschlag?
Angesichts dieser Probleme zeigten einige Referenten Skepsis bezüglich der oben genannten Ziele.
Wir kennen ähnliche Probleme aus komplexen Systemen für Experten aus anderen Branchen: z.B. in der Flugsicherung, in Verkehrszentralen, aber auch bei komplexen Investment-Entscheidungen muss man schnell einen Überblick über komplexe Daten gewinnen und entscheiden. Auch in diesen Branchen bestehen hohe Anforderungen an Sicherheit und Technologie.
Dennoch – oder genau deshalb – wird oft aus der Perspektive der Benutzer entwickelt und wichtige Fragen frühzeitig im Projekt beantwortet: Was wird tatsächlich verwendet? Wann wird das System umgangen (Workarounds)? In welchen Situationen kommt es auf welche Infos an? Welche Funktionen oder Felder können wegfallen? Wie geht die Datenerfassung am schnellsten? Wie müssen Sicherheitswarnungen konzipiert sein, damit sie wirklich gelesen werden? Nur wenn man diese Fragen beantworten kann, kann man die Informationen für Experten übersichtlich und zuverlässig bereitstellen.
Auch für PDMS Systeme gilt: für eine fehlerfreie, effiziente Nutzung muss das Interface für ganz verschiedene Nutzer funktionieren. Pflegekraft, Assistenzarzt, Controller oder gar Patient haben unterschiedliche Bedürfnisse. Deshalb lohnt sich auch hier, das «Frontend» der Applikation frühzeitig und benutzerzentriert zu entwickeln. User-Centered Design wird natürlich nicht alle beschriebenen Probleme lösen – aber es hilft dabei, sich auf das Wesentliche zu beschränken.
Es ist erfreulich ist, dass es die Notwendigkeit guter Usability auf die Folien diverser Referenten geschafft hat und dass es einen Workshop zum Thema gab. Bleibt zu hoffen, dass sich dies in der Projektmethodik zur Entwicklung von PDMS niederschlagen wird.
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