Nach oben

Leichte Sprache – damit es alle verstehen

Sie können gut lesen. Ihre Kollegen vermutlich auch – oder? Im Alltag gehen wir davon aus, dass die meisten Menschen gut lesen können. Doch das ist ein Irrtum. Fast einer Million Menschen in der Schweiz fällt das Lesen schwer, aus unterschiedlichen Gründen. «Leichte Sprache» ist eine Norm, die Hilfe verspricht.

 

Normale Zeitungen, Bücher und Webinhalte lesen ist nicht selbstverständlich. Menschen mit Leseschwäche können sie nicht verstehen. Oder sie fangen erst gar nicht an zu lesen. Von Lese- und Schreibschwäche in Deutsch betroffen sind Menschen mit:

  • Lernschwierigkeiten (z. B. funktionaler Analphabetismus)
  • geringen Deutschkenntnissen (MigrantInnen und Expats)
  • Hirnschädigung (Aphasie, z. B. nach Unfällen)
  • Demenz oder hohem Alter
  • Sinnesbehinderung
  • kognitiven Beeinträchtigungen

Keine Integration ohne Schriftsprache

Sprache ist ein wichtiger Schlüssel, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Bestimmte Inhalte sind jedoch heute nur noch über Websites zugänglich.

Die Schule als Beispiel zeigt, wo der Schuh drückt. Im Elternheft des Berufswahltagebuchs für die Sekundarschule wird in der deutschen Version auf das Internet verwiesen, wo das Ganze in 12 Sprachen übersetzt ist. Kann das die effiziente Lösung sein?

Behindertenorganisationen haben in Wohnheimen und Arbeitsstätten mit Anleitungen in Leichter Sprache gute Erfahrungen gemacht. Sind die Betroffenen selbständig, kommt das ihnen und dem ganzen Betriebsablauf zu Gute.

Nun rüstet die öffentliche Hand nach:  Online-Schalter der Behörden, Gesundheitsdienste, Veranstalter, der öffentliche Verkehr und andere übersetzen Teile ihrer Websites in Leichter Sprache.

Warum kommt Leichte Sprache gerade jetzt?

Das öffentliche Bewusstsein zur Inklusion wächst. Und die Kosten steigen. Ab 2018 verankert Deutschland die Anforderung von Übersetzungen in Leichter Sprache gesetzlich. Behörden und Institutionen müssen dann dem Behindertengleichstellungsgesetz nachkommen. (Übrigens mittelfristig auch die restlichen EU-Länder)

Im gemeinsamen deutschen Sprachraum wird auch für die Schweiz der Druck entstehen, Gleichstand zu erreichen.

Was ist Leichte Sprache?

Im Wesentlichen geht es darum, komplizierte Texte so zu übersetzen, dass sie alle verstehen. Die stark vereinfachte Variante des Deutschen zielt auf besonders leichte Verständlichkeit. Dabei unterliegt die Leichte Sprache einem genormten Regelwerk. Neben den Rechtschreiberegeln gibt es auch Empfehlungen zu Typografie und Mediengebrauch.

Dazu gehört:

  • kurze Hauptsätze, kurze Wörter
  • pro Satz eine Aussage
  • pro Zeile ein Satz
  • Fremd- oder Fachwörter sollen vermieden oder erklärt werden
  • aussagekräftige Illustrationen statt überfrachtete Fotos
  • keine Ironie oder Bildsprache
Illustrationen aus «Die Regeln für Leichte Sprache» vom Netzwerk Leichte Sprache, Deutschland
Illustrationen aus «Die Regeln für Leichte Sprache» vom Netzwerk Leichte Sprache, Deutschland

Wo gibt es schon Leichte Sprache?

Es gibt zahlreiche Branchen, deren Kunden grundsätzlich darauf angewiesen sind, dass ihre Informationen von allen verstanden werden. Andere profitieren von einem grösseren Kundenkreis. Aber wie findet die Zielgruppe zu den neuen einfachen Inhalten?

Es gibt verschiedene Varianten, wie Leichte Sprache auf Websites eingebunden ist:

Screenshot der Servicenavigation von sozialkompass.eu
Sehen Sie bald öfter: Zugang in Leichter Sprache in der Servicenavigation

Leichte Sprache im Test

Leichte Sprache scheint ein sinnvoller Schritt für die Integration aller. Wie gut sie funktioniert, wissen wir aber noch nicht. Denn es gibt noch wenige Standards und es wird viel ausprobiert. Auch wir testen noch, wie und wo Leichte Sprache am besten eingesetzt werden soll, z. B. in unserem Newsletter zum Welt Usability Tag 2017. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Dieser Artikel ist Teil unserer Serie «Inklusives Design» zum World Usability Day 2017.

Unsere Dienstleistungen für User-Centered Design

Wir bieten alle Dienstleistungen rund ums Frontend und sind vertraut mit verschiedenen Projekt-Management-Methoden wie Scrum oder Hermes.

Alle Phasen der Produktentwicklung mit User-Centered Design

Kommentare

Kommentar schreiben

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Hurraki

23.11.2017 - 11:13

Tipp für Blogger: Das Leichte Sprache Plugin:
https://de.wordpress.org/plugins/hurrakify/

Matthias Giger

12.11.2017 - 3:53

Leichte Sprache, ist das nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Wo ist der Unterschied zur einfachen Sprache? Ihr wisst schon. Das, was Journalistinnen und Journalisten seit Jahrzehnten gut beherrschen.

Wieso tut die UX Branche immer öfter so, als hätte sie gerade das Rad neu erfunden? Hat sie das nötig? Schnaps ist Schnaps und Text ist Text oder etwa nicht?

@Leo Weiss: Super Hinweis. Leichte oder einfach einfache Sprache darf nicht verarmen.

René Sturny

15.11.2017 - 11:56

Lieber M. Giger, danke fürs Nachfragen. Genau, wo ist der Unterschied zur einfachen Sprache? Während bei Einfacher Sprache ein Freiraum für die sprachliche Gestaltung bleibt, liegt der Leichten Sprache ein strenges Regelwerk zu Grunde.
Wie Sie richtig ergänzen, wird im Journalismus Einfache Sprache schon lange verwendet. Während wir uns aber generell öfters „einfach“ ausdrücken sollten, ist „Leichte Sprache“ eine normierte Sprachversion für Menschen, welche Barrierefreiheit benötigen. Als zusätzlichen Text ermöglicht Leichte Sprache so den Zugang zu wichtigen Informationen für diejenigen, die sonst gar nicht mitlesen können.
Zudem gehören Content und Design nach unserem Verständnis extrem zusammen und bedingen einander. Deshalb drehen hier Texter und UX Branche aus unterschiedlichen Blickwinkeln am gleichen Rad. Aber ich kann Ihnen versichern, dass eine journalistisch gute, einfache Textqualität auch wesentlich besser in «leichte Sprache» übersetzt werden kann.

Leo Weiss

09.11.2017 - 13:41

Aufpassen bitte: Verwechseln Sie nicht „leichte“ Sprache mit „verarmter Sprache“.

Beispiel: „Genehmigen“ und „erlauben“ bedeuten nicht dasselbe: Ich erlaube etwas, bevor es getan wird, und genehmige etwas, nachdem es getan wurde. Der umfassendere Begriff dürfte „Zustimmung“ sein. Wenn ich „genehmigen“ durch „erlauben“ ersetze, raube ich dem Zuhörer oder Leser einen Teil des Inhaltes.

Ich hoffe, dass bei Zeix „inklusive“ nicht so interpretiert wird.

„Inklusive“ sollte bedeuten, jemanden nicht nur voll zu nehmen, sondern auch voll aufzunehmen, ihn also am GESAMTEN REICHTUM der Sprache teilhaben zu lassen. Das braucht vielleicht etwas mehr Zeit und Aufwand. Ist es aber nicht den Versuch wert?

René Sturny

10.11.2017 - 15:07

Lieber Leo Weiss, danke fürs Mitdenken! Genau solche Bedenken äussern viele Leute, wenn es um Leichte Sprache geht. Aber Leichte Sprache ist kein Ersatz, sondern ein Zusatzangebot zum reichhaltigen Deutsch. Es geht darum, wesentliche Informationen für Menschen mit geringem Sprachverständnis und/oder Textverständnis zu erschliessen. Eine wichtige Regel dabei ist, korrektes Deutsch anzuwenden. Dann ist Leichte Sprache im besten Fall ohnehin eine Durchgangsstufe auf dem Weg zum Standarddeutschen.