Am Zukunftstag im November haben 21 Kinder im Alter von 10-13 Jahren mit uns spekulative Zukünfte skizziert und abenteuerliche Produkte für 2080 entworfen. Einfach ein grosser Spass? Nicht nur, denn Future Design macht Bedürfnisse, Möglichkeiten und Befürchtungen bezüglich der Zukunft (be-)greifbar. Die künftigen UX-Profis waren kreativ und witzig bei der Sache – zeigten uns aber auch düstere Szenarien.
Unser aller Alltag verändert sich schon heute rasant. Das betrifft auch die Berufswelt von User-Experience-Profis. Wo könnten wir also besser anfangen, den Kern unseres Metiers zu erklären, als mit Visualisierungen künftiger Welten? Genau das war die Aufgabe der Teilnehmer:innen am “WUD4Kids Day”, einer Parallelveranstaltung zum World Usability Day in Baden.
Meine Kollegin Ricarda Reutimann und ich haben die Ergebnisse zusammengefasst.
Ernste Spiele mit spekulativen Welten
Future Design (auch Speculative Design, Design Fiction oder Critical Design) ist eine Kreativmethode aus dem Industriedesign. Sie hilft, Zukunftsszenarien fassbar zu machen. Dabei geht es nicht um die eine Zukunft, sondern eine Auswahl möglicher Zukünfte. Für jede Zukunft kreieren die Teilnehmenden ein typisches Produkt, das den Zeitgeist veranschaulicht. Im Kern steht eine Frage: Welche Zukunft ist die, die wir als Menschen / als Gemeinschaft / als Firma anstreben?
Im Workshop skizzierten die Kids die mögliche Umwelt und den Alltag einer Person im Jahr 2080. Wie wohnt sie, was tut sie, wie funktioniert die Fortbewegung, was sind typische Hobbies und wie glücklich sind die Menschen? Die Kids erweckten ihre Welten mit Skizzen, Collagen und Fotos zum Leben. So diskutierten sie über wünschenswerte und bedrohliche Entwicklungen, künftig praktische Produkte und ethische Fragen.
Weltdesign tendenziell düster
Die ersten Bilder der Kinder zeigten düstere Szenarien. Wird es den Planeten an sich oder die menschliche Zivilisation in 60 Jahren überhaupt noch geben? Zudem beschäftigen die heutige Probleme wie der Klimawandel, bedrohte Natur, soziale Ungerechtigkeit und zunehmende Digitalisierung die Kinder sehr.
“Ich glaube die Welt gibt es 2080 nicht mehr oder sonst ist sie in zwei Teile gespaltet.”
Schülerin, 11
Gleich zwei der vier Gruppen zeichneten eine geteilte Welt, in deren Hälften jeweils andere Prioritäten gelten. In anderen Welten visualisierten die Kids, dass sich das Meer ausdehnen wird und Menschen auf knappem Platz oder unter Wasser wohnen werden.
Die geteilte Welt
In der Zukunftsversion der “geteilten Welt” sind Natur und Technologie komplett getrennt. Diese Trennung von unberührter Natur und einem Gebiet mit hoher Technologiedichte zeigt sich auch im Schulsystem. Auf der technischen Seite der Welt fahren die Schüler:innen mit Robotertaxis zur Schule. “Einstein-Roboter” lehren im Schulunterricht. Beliebte Schulfächer sind Schwebe-Fussball und Elektrizität. Auf der natürlichen Seite der Welt reiten die Kids auf Pferden zur Schule, um Naturkunde, Astronomie, Geografie und Physik zu lernen.
Welt der Städte
In einer Welt waren alle Flächen von Städten bedeckt. Roboter waren allgegenwärtig und hatten sogar eigene Städte. Natur war keine mehr vorhanden; immerhin wurde das Energieproblem gelöst, indem diese mit Hilfe von Kristallen direkt von Sternen abgezapft wird.
Die Kids gingen hier und in anderen Szenarien davon aus, dass die Weltbevölkerung und der Autoverkehr zunehmen. Entsprechend suchten sie Lösungen, um mit knappem Platz und mehr Umweltverschmutzung umzugehen. Trotz ÖV-Verbesserungen und velofreundlicher Städte waren unsere Workshop-Teilnehmer:innen hartnäckig überzeugt, dass zu viele Autos und Abgase bleiben werden. Auch 2080.
In die Höhen und Tiefen
Um genug Raum für alle zu haben, verlagerten die Kids kurzerhand Teile ihrer Zivilisation in die Luft oder unter Wasser. Dies und die prognostizierte Zunahme der Weltbevölkerung spiegeln sich in vielfältigen alternativen Wohn- und Lebensformen. Darin ist nicht nur die Bevölkerung des Meeresgrunds und des Luftraums enthalten, sondern natürlich auch die Besiedlung des Weltalls. Neu kann jeder seine eigene digitale Sonne haben. Der Abfall wird elegant mit Hilfe von Raketen zum Mond befördert.
In einigen Szenarien verbannten die Kids die Menschen überhaupt in die Luft. Auf der Erde sollen die Tiere ungestört leben. Dafür gibts in der Luft fliegende Sportplätze und die Möglichkeit, direkt mit dem eigenen Haus in andere Länder zu fliegen :-).
Alltagsgegenstände für 2080
Im zweiten Teil des Workshops baten wir die Kinder, sich typische Gegenstände oder Dienstleistungen zu ihren Welten vorzustellen und zu zeichnen.
Insgesamt wurden die Aussichten, wenn es um den konkreten Alltag und die Alltagsgegenstände ging, viel optimistischer. Ein omnipräsentes Thema waren die Einsatzmöglichkeiten von Robotern und intelligenten Behausungen. Aufsehen erregt in Zukunft der fliegende Staubsauger, der jeglichen CO2 Ausstoss von Fahrzeugen beseitigt.
Roboterfreunde und Jetpacks
Roboter kamen in den verschiedensten Situationen zum Einsatz. Sei es als Pflanzroboter, digitaler Freund gegen Einsamkeit oder Beschützer der Familie. Selbstverständlich gibt es auch Roboter, die wieder neue Roboter produzieren. Ein weiteres omnipräsentes Thema war die Freizeitgestaltung. Hier fiel es den Kindern eher schwer, sich ganz von ihren aktuellen Lieblingsbeschäftigungen zu lösen. Es wird in Zukunft immer noch Unihockey, Fussball und Basketball gespielt – allerdings schwebend in der Luft. Die Faszination fürs Fliegen zeigt sich auch bei fliegenden Skateboards und Jetpacks, welche künftig den Schulweg erleichtern sollen.
Menschliche Smart Homes
Die neuen Behausungen übernehmen auch soziale Aufgaben. Das Haus weckt die Kinder, wenn sie zur Schule müssen. Es ist Gesprächspartner, wenn Menschen alleine zuhause sind. Praktischerweise gibt es “Schrumpfhäuser”, die die Zukunftsmenschen bei Bedarf einpacken und mitnehmen können.
Grosses Finale
Die Kids haben fantastisch mitgearbeitet und sich – gemäss eigener Aussage – “auch teilweise ganz schönen Seich ausgedacht”. Nach unserem Future Design Workshop gestalteten sie in weiteren Workshops noch Superhelden, übten sich im Zeichnen ihrer Ideen, bauten Lego-Prototypen und tauchten in die Tiefen künstlicher Intelligenz ein. Ein strenger Tag! Dennoch kamen fast alle Kids am Nachmittag bereitwillig auf die Bühne, um dem Publikum des Usability Day lebhaft von ihren Eindrücke zu berichten.
Fazit
Bei aller Verspieltheit haben die Kids ihre Welten entlang grosser Themen unserer Zeit designt: Vereinbarkeit von Technologie und Natur, gesellschaftliche Verteilungsprobleme, Energie, Mobilität, Soziales und Spass am Leben! Wie auch die erwachsenen Future-Design-Anfänger brauchten sie einige Zeit, um sich gedanklich aus dem Heute zu lösen und auf eine ferne Zukunft einzulassen. Denn Future Design ist Übungssache.
Sie waren “den Grossen” methodisch eher überlegen, da das kreative Zeichnen, Spielen mit Möglichkeiten und Benennen von Gegebenheiten ihnen leicht fiel. Erschreckend fanden wir, wie schnell die Kids pessimistische Zukünfte im Blick hatten, die sie als wahrscheinlich beurteilten.
Deshalb sind wir bei Zeix überzeugt, dass es notwendig ist, Kinder an alternativen Zukunftsszenarien mitdenken zu lassen. Denn es geht nicht nur um die Nachwuchsförderung. Auch für unsere eigene Arbeit in Produktentwicklung und Organisationsdesign ist es wichtig, die Visualisierungen und Bedürfnisse von Kindern beim “Weltdesign” im Auge zu behalten. Schliesslich prototypen sie die Erwartungen und Befürchtungen zu ihrer künftigen Umwelt, die “User Experience” der Zukunft.
Über den WUD4Kids
Zum World Usability Day veranstaltete UX Schweiz zum 2. Mal die Workshopreihe “WUD4Kids”. Denn der Zukunftstag findet traditionell am gleichen Tag statt, an dem die Community der User Experience Spezialisten ihre weltweite Fachkonferenz veranstaltet. Dabei waren Kinder der 5.-7. Klasse aus allen Regionen der Deutschschweiz. Teils waren ihre Eltern Konferenz-Teilnehmende, teils hatten sie sich frei für das Programm angemeldet.
In 5 Sessions führten die Veranstalter die Kids quer durch verschiedene Methoden, wie sie Produkte und Dienstleistungen mit guter User Experience bauen können. Der nächste World Usability Day findet am 10. November 2022 statt und soll aufgrund des grossen Erfolgs wieder ein WUD4Kids-Programm bekommen.
Weiterführende Infos
Rückblick auf den ganzen Schweizer Usability Tag in Bildern und Videos https://uxschweiz.ch/events/world-usability-day-2021/
Weitere Designprojekte mit Kindern von Zeix https://zeix.com/durchdacht/themen/user/kinder-jugendliche/
Website des Schweizer Chapters der internationalen Initiative Speculative Futures speculativefutures.ch
Futures-Literacy-Projekt der Unesco https://en.unesco.org/futuresliteracy
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