Scharfe Zunge, spitze Worte, flammende Rede… Sprache kann wie eine Waffe wirken. Umso wichtiger, sie geführt einzusetzen. Wen schliesst Ihr Content ein oder aus? – Ein Experiment mit dem «Inclusive Panda».
Das Modell des inklusiven Pandas
Am World Information Architecture Day (WIAD) in Zürich besuchte ich den Workshop von Per Axbom «Mostly Harmless». Die Kernbotschaft lautete, dass wir mit Design-Entscheidungen bewusst oder unbewusst Menschen ausschliessen oder verletzen. Allen können wir es nicht recht machen. Wenn wir schon Leute ausschliessen oder ihnen die Bedienung eines digitalen Angebots schwer machen — so sein Plädoyer — so soll dies wenigstens aufgrund von bewussten Design-Entscheidungen geschehen und nicht etwa, weil wir schlicht nicht daran gedacht haben oder zu faul waren. Per Axbom hat ein Modell entwickelt, wie wir den Prozess des Nachdenkens über Ein- und Ausschlüsse durch unsere Design-Entscheidungen strukturieren können: The Inclusive Panda.
Ich möchte das Modell an einem Beispiel erläutern. Wenn wir von Inclusive Design sprechen, müssen wir auch die Sprache unter die Lupe nehmen. Inklusive Sprache heisst unter anderem, einfach und lesbar für alle zu schreiben. Inklusive Sprache heisst aber auch, an alle gedacht zu haben. Worte haben Gewicht und können darüber entscheiden, wer sich angesprochen fühlt und für einen Job bewirbt oder eine Ausbildung interessiert.
Hin zu einer inklusiveren Sprache
Die deutsche Sprache ist eine vergeschlechtlichte Sprache. In der dritten Person Singular wird Menschen über das Personalpronomen ein Geschlecht fremd zugeschrieben: sie oder er. Für Bezeichnungen von Menschen gibt es männliche und eine weibliche Endungen bei Pronomen, Adjektiven und Nomen: eine kluge Astronautin oder ein kluger Astronaut. 99 Ärztinnen und 1 Arzt sind 100 Ärzte — gemäss der nach wie vor gebräuchlichen Form des generischen Maskulinums. Die Frauen in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe von Menschen verschwinden aus der Sprache aufgrund der männlichen Pluralform.
«Werde Experte für inklusives Design!»
Für unser Beispiel nehme ich an, im Teaser-Text für einen Studiengang stehe der Satz «Werde Experte für inklusives Design!» unter dem Bild eines jungen weissen Mannes mit Anzug vor einem Computer. Der Studiengang richtet sich an alle, die sich gemäss ihren Vorkenntnissen dafür qualifizieren. Und doch sind nicht alle gleich angesprochen oder eingeschlossen. Dass die für diesen Teaser verantwortliche Person das generische Maskulinum und ein Bild wählt, wie bei uns angehende Experten meist aussehen, zeugt davon, dass bei der Gestaltung mindestens der Website — schlimmerenfalls des ganzen Studiengangs — vor allem an eine Zielgruppe aus jungen weissen Männern ohne Behinderungen gedacht wurde. Im Modell des inklusiven Pandas befinden sie sich innerhalb der Schnauze («People you are intentionally designing for, measuring and following up on», «included»).
Frauen, ältere Menschen, Menschen mit Behinderung oder als fremdländisch gelesene Menschen können sich grundsätzlich anmelden. Dennoch können sie sich nie ganz sicher sein, ob sie tatsächlich mitgedacht und nicht nur formell mitgemeint sind. Im Modell des inklusiven Pandas befinden sie sich in der oberen Gesichtshälfte beim linken Ohr («People who manage to use the solution anyway but could be thrown out any time»).
Einige Menschen, für die der Studiengang durchaus interessant wäre, können sich vielleicht gar nicht anmelden. Eine blinde Interessentin scheitert, weil das Anmeldeformular nicht barrierefrei aufgebaut ist und sie darum nicht weiss, welche Angaben wo auszufüllen sind. Oder ein Interessent mit Rollstuhl gibt verzweifelt auf, weil er nicht herausfinden kann, ob die Kursräume rollstuhlgängig sind. Im Modell des Inclusive Pandas befinden sie sich im linken Ohr («People who may benefit from the solution but no effort is placed into designing for them»).
Ich lasse die Aspekte der Bildsprache, der vermittelten Informationen zum Studiengang sowie den Anmeldeprozess ausser Acht und beschränke mich darauf, Alternativen zu diskutieren, wie der eine Satz im Teaser inklusiv formuliert werden kann.
Beidnennung und Binnen-I
«Werde Expertin oder Experte für inklusives Design!»
Besser! Frauen sind nun auch explizit angesprochen und nicht nur mitgemeint. Aber: Der Titel ist länger und braucht deshalb in der Darstellung auf dem Screen vielleicht drei statt nur zwei Zeilen. Als Variante davon kann in einem längeren Text auch abwechslungsweise die weibliche und die männliche Form verwendet werden, um Redundanzen durch Doppelnennung zu vermeiden. Bei einem kurzen Titel ist das leider nicht möglich.
Eine Möglichkeit besteht darin, im Titel eine neutrale Form zu wählen, z.B. «Ausbildung für Kaufleute», im Fliesstext dann aber auch die geläufigen und häufig gesuchten Begriffe «Kauffrau» und «Kaufmann» zu verwenden.
Die Schreibweise mit dem Binnen-I war in den Nullerjahren weit verbreitet. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie kurz ist und die männliche und weibliche Form in einem Wort zusammenfasst:
«Werde ExpertIn für inklusives Design!»
Was passiert eigentlich, wenn Screenreader eine Formulierung mit Binnen-I vorlesen? — Da die Gross-/Kleinschreibung ignoriert wird, liest der Screenreader vor: «werde expertin für inklusives design!». Blinde Männer haben somit keine Chance herauszufinden, ob sie auch mitgemeint sind oder nicht.
Die explizite Nennung der zwei vorherrschenden Geschlechtern schliesst sprachlich nonbinäre Menschen aus, die weder Mann noch Frau sind. Für sie kann die Sichtbarkeit von zwei Geschlechtern — und damit verbunden die Unsichtbarkeit anderer Geschlechter — schlimmer sein als das Mitgemeintsein beim generischen Maskulinum.
Gender-Stern und Gender-Gap
«Werde Expert*in für inklusives Design!»
Seit das Bewusstsein gewachsen ist, dass es neben Frau und Mann noch weitere Geschlechter gibt, hat sich die Schreibweise mit Gender-Stern oder Gender-Gap verbreitet: «ein*e rollstuhlfahrende*r Expert*in» bzw. «ein_e rollstuhlfahrende_r Expert_in». Im Gegensatz zum Binnen-I ist diese Schreibweise nicht als Kurzform gedacht, sondern als eine neue Form, die alle Geschlechter einschliesst. Für nähere Informationen zur Kommunikation mit nonbinären Menschen verweise ich gerne auf die Hinweise von nonbinary.ch.
Doch auch diese Formulierung hat Nachteile: Für Screenreader-User wirkt es sperrig, wenn mitten im Wort jeweils ein Stern oder ein Unterstrich vorgelesen wird: «ein stern e rollstuhlfahrende stern r expert stern in» bzw. «ein unterstrich e rollstuhlfahrende unterstrich r expert unterstrich in».
Von der Aussprache zum Text
Nähern wir uns dem Thema doch einmal von der mündlichen Seite, so wie Menschen Formulierungen mit Gender-Stern oder Unterstrich aussprechen und wie wir uns wünschen würden, dass Screenreader sie vorlesen. Die gebräuchlichste Form ist, an der Stelle des Sterns oder Unterstrichs durch Verschluss der Lippen eine kurze Pause zu machen – von Sprachwissenschaftler’innen stimmloser glottaler Verschlusslaut genannt.
Ein möglicher Vorschlag, den stimmlosen Verschlusslaut im Text anzuzeigen, ist der Apostroph:
«Werde Expert’in für inklusives Design!»
Die meisten Screenreader lesen diese Form mit Apostroph wie erwünscht mit einer kurzen Sprechpause vor dem «’in» vor. Abgesehen davon ist der Apostroph im Schriftbild bestens etabliert, einfach zu schreiben und kein Stolperstein beim Lesen.
Allerdings ist diese neuere Form noch wenig verbreitet, wie meine kürzliche Umfrage zeigt:
Auf welche Weise macht ihr in der deutschen Sprache deutlich, dass Menschen aller Geschlechter angesprochen sind?
Bitte retweeten.
— Esther Brunner (@esthrbrunnr) March 16, 2019
Welche Form wählen?
Die gewählte Formulierung beeinflusst auch das Ranking bei Google. Leider ist es so, dass Google «Entwickler», «Entwicklerin», «Entwickler*in» oder «Entwickler’in» nicht als Synonyme erkennt. Ein Artikel über eine Frontend-Entwicklerin wird also schlechter gerankt, wenn nach «Entwickler» gesucht wird. Demgegenüber werden Seiten in All-Gender-Notation besser aufgefunden, wenn jemand explizit diese Form ins Suchfeld bei Google eingibt.
Das generische Maskulinum, die Beidnennung und das Binnen-I haben ein Problem mit dem linken Ohr des Pandas («excluded»): Menschen, die angesprochen werden sollten, werden sprachlich nicht oder nur halbherzig eingeschlossen.
Auf der anderen Seite wird es Leute geben, die Schreibweisen mit Stern, Unterstrich oder Apostroph abschreckend und als inkorrektes Deutsch empfinden. Der Rechtschreiberat hat sich erst kürzlich entschieden, das Gender-Sternchen vorerst nicht als offizielle Schreibweise in den Duden aufzunehmen. Das spricht aus meiner Sicht noch nicht dagegen, Stern, Unterstrich oder Apostroph einzusetzen. Schliesslich ist Sprache im Fluss und neue Formulierungsvarianten können und sollen erprobt werden.
Zum Schluss: Wer keine Notwendigkeit sieht, Sprache als gestaltbares Interaktionsmittel wahrzunehmen und Möglichkeiten für inklusivere Formulierungen zu erwägen, gehört vielleicht nicht so sehr zur Zielgruppe für unseren Beispiel-Studiengang. Diese Interessent’innen wären eher das rechte Ohr des Pandas («unwanted»): «People you do not want using the solution. They could get hurt or they could hurt others.»
Fazit
Das Modell des inklusiven Pandas von Per Axbom hilft, systematisch über Ein- und Ausschlüsse unserer Design-Entscheidungen nachzudenken. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die am Konzept beteiligten Personen bereits bereits auf häufige Fallstricke (z.B. Hautfarbe, Geschlecht, körperliche Einschränkung, etc.) sensibilisiert sind.
Es liegt in unserer Verantwortung als Designer’innen von digitalen Produkten, vorauszudenken, welche unbeabsichtigten negativen Folgen unsere Entscheidungen haben könnten. Und wir müssen beobachten, von wem und wie unser Content und digitale Tools effektiv genutzt werden - und dabei speziell die Verletzlichsten und Ausgeschlossenen im Auge behalten. Diese Aufgaben nimmt uns das schöne Modell des inklusiven Pandas nicht ab.
Kommentare
Pascal Schmitt
08.01.2021 - 11:22Besten Dank für den sehr spannenden Artikel.
Dazu zwei Frage:
– Die Schreibweise mit dem Doppelpunkt erwähnen Sie hier nicht. Wie ist Ihre Meinung zu dieser Schreibweise und wissen Sie wie es dich damit verhält bezüglich Screenreader und Suchmaschinen?
– Oft wird geschrieben, dass immer korrekte Sätze übrig bleiben sollen wenn man die «Weglassprobe» mache. So wäre z.B. «Alle Student*innen sind…» nicht korrekt, da beim Weglassen nur „Alle Student sind…“ übrige bliebe was ein nicht korrekter Satz ist. Ihre Beispiele berücksichtigen dies nicht (bspw. «Werde Expert’in für inklusives Design!»). Ist das ein bewusster Entscheid?